Heute merkt man kaum, dass man eine ehemalige Ländergrenze passiert, wenn man zum Beispiel nach Frankreich fährt. Manchmal stehen dort noch verlassene Grenzgebäude, häufig aber sieht man nur noch ein kleines Schild, das darauf hinweist, dass man jetzt in einem anderen Land ist. Früher war das anders. Damals musste man seinen Ausweis vorzeigen und Grenzer kontrollierten die Übergänge. Außerdem musste man vorher Geld wechseln, denn vor der Einführung des Euro gab es in Deutschland die D-Mark und in Frankreich den Franc.

Offene Grenzen und eine Europäische Union Anfang der 1950er Jahre? Noch lange nicht! Was völkerrechtlich erst Jahre oder Jahrzehnte später realisiert wurde, forderten einige bereits im August 1950. Lange vor der Gründung der Europäischen Union sorgte eine Aktion an der deutsch-französischen Grenze für Aufruhr.

Im kleinen deutsch-französischen Grenzort St. Germanshof (in der Nähe der deutschen Gemeinde Bobenthal und der französischen Stadt Weißenburg) trafen sich am 6. August 1950 300 junge Menschen und Studierende aus neun verschiedenen europäischen Nationen. Sie zersägten dort die Grenzbäume und Grenzpfähle und besetzten den Ort.

Mit Plakaten wie „Sie kommen aus Europa. Sie bleiben in Europa“ forderten sie die Öffnung der Grenzen und ein geeintes Europa. In einer Resolution prangerten sie das Zaudern und Zögern der Politiker hinsichtlich der Bildung einer Europäischen Union an und verlangten endlich Taten. In der Proklamation „Europa ist Gegenwart“ formulierte die Gruppe zehn Forderungen, zum Beispiel die Bildung eines europäischen Parlaments. Auf der Wiese bei der Zollstation wurde diese Proklamation feierlich auf Deutsch, Französisch und Englisch verlesen. Wenige Monate nach der Aktion in St. Germanshof fand auch in Straßburg eine Versammlung statt. Am 24. November 1950 versammelten sich vor dem dortigen Europahaus über 3.000 junge Menschen. Sie forderten ein föderales Europa.

In der Bevölkerung weiß heute kaum jemand von den Ereignissen aus dem Sommer 1950. Doch der friedliche Protest und der Einsatz junger Menschen aus unterschiedlichen Ländern für offene Grenzen und eine europäische Einheit stehen repräsentativ für ein wichtiges positives Bekenntnis für Europa. Heute kritisieren viele die EU. Sicher gibt es noch einiges zu verbessern. Aber wir vergessen, wie es war, bevor es sie gab. Viele Menschen haben sich in der Geschichte dafür eingesetzt, dass Europa näher zusammenrückt. Wir alle genießen heute die Früchte dieses Einsatzes.


Autorin: Sarah Traub

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