Am 1. Juni 1983 starb die bedeutende jüdische Schriftstellerin Anna Seghers in Berlin-Adlershof. Die gebürtige Mainzerin war zu ihren Lebzeiten in Rheinland-Pfalz stark umstritten, heute gilt ihr Werk aber als wichtiges Kulturgut ihrer Heimat und wird oft zu verschiedenen Anlässen aufgeführt. Einige ihrer Erzählungen und Romane zählen zur Weltliteratur. Ihr Leben ist heute oft ein Thema der landesgeschichtlichen Forschung und der Gedenkarbeit.

Als Netty Reiling wird sie am 19. November 1900 in Mainz geboren. Netty stammt aus einer wohlhabenden und angesehenen jüdischen Familie. Ihr Vater, der orthodoxe Jude Isidor Reiling, betreibt eine internationale Kunst- und Antiquitätenhandlung am Flachsmarkt 2. Ihre Mutter, Hedwig Reiling, stammte aus der jüdischen Frankfurter Kaufmannsfamilie Fuld. 1920 ging Netty nach Heidelberg und studierte dort Philologie, Kunstgeschichte, Geschichte und Sinologie. Dort lernte sie den jüdischen Ungar Laszlo Radvanyi kennen und lieben. Die revolutionäre, kommunistische Einstellung Laszlos und weiterer Kommilitonen prägte Netty Reiling. Auch in den Vorlesungen setzte sie sich mit sozialistischen und marxistischen Fragen auseinander. 1924 schloss sie ihr Studium erfolgreich ab und veröffentlichte in der Frankfurter Zeitung auch ihre erste Erzählung „Die Toten auf der Insel Djal“. Sie entschied sich, die Erzählung unter einem Pseudonym zu veröffentlichen und wählte Antje Seghers.

1925 heirateten Anna Seghers und Laszlo Radvanyi und zogen nach Berlin, wo Anna weitere Erzählungen wie „Grubetsch“ (1927) und „Aufstand der Fischer von St. Barbara“ (1928) veröffentlichte. 1926 wurde der Sohn Peter, zwei Jahre später die Tochter Ruth geboren. 1928 trat Anna Seghers der KPD und dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller bei.

Nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 zwang die nationalsozialistische Verfolgung von linken Oppositionellen und Intellektuellen sowie deutschen Juden die als Jüdin, Kommunistin und links engagierte Schriftstellerin mehrfach bedrohte Anna Seghers zum Exil. Über die Schweiz floh das Ehepaar zunächst nach Frankreich, wo sie in Bellevue, einem Vorort von Paris, eine Wohnung fanden. Gezwungenermaßen hatte das Ehepaar die Kinder in Deutschland zurücklassen müssen – durch die Unterstützung der Eltern von Anna konnten sie nun nachgeholt werden. In dieser Zeit in Frankreich schrieb Anna Seghers mehrere Romane wie beispielsweise „Der Kopflohn“ (1933), die sich mit dem Ende der Weimarer Republik und dem Aufstieg des Faschismus beschäftigten. Nachdem Paris durch deutsche Truppen 1940 eingenommen worden war, floh die Familie nach Mexiko, wo sie nach langer Flucht endlich 1941 in Sicherheit war. Im Jahr darauf veröffentlichte Anna Seghers den in Rheinhessen spielenden Roman "Das siebte Kreuz" und erlangte damit Weltruhm. Die Flucht und die verzweifelte Suche nach einem sicheren Exilland waren Inspiration für den Roman „Transit“ (1944). Die Nachricht der Deportierung und Ermordung ihrer Mutter im Ghetto Piaski und die Zerstörung ihrer Heimatstadt verarbeitete Anna Seghers in der autobiographischen Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ (1946).

Nach dem Krieg siedelte Anna Seghers mit Familie nach Ost-Berlin um. In der Deutschen Demokratischen Republik wurde sie als Vorzeigeschriftstellerin gefeiert und auch zur Legitimation des kommunistischen Staates herangezogen. Anna Seghers bekannte sich auch öffentlich zur DDR und war von 1952 bis 1978 Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes. Sie engagierte sich in der Weltfriedensbewegung dieser Jahre. Missstände des DDR-Regimes formulierte sie allerdings nie öffentlich, auch wenn sie ihr sehr wohl bewusst waren – bedrohten Kolleg:innen versuchte sie unauffällig zu helfen. Während sie in Ostdeutschland hohe Auflagen erzielte und ihre Werke auch ideologisch interpretiert wurden, war sie in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre verpönt und wurde kaum gelesen.

Auch ihre Heimatstadt Mainz tat sich mit der Anerkennung des Werkes von Anna Seghers zunächst schwer. Zwar förderte der damalige Pressereferent der Stadt Mainz, Walter Heist, in den 1960er und 1970er Jahren durch mehrere Artikel und Bücher über die Schriftstellerin ihre Reputation in der Stadt, die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Johannes Gutenberg-Universität 1977 war trotzdem noch stark umstritten. 1981 wurde Anna Seghers nach langen Auseinandersetzungen auch Ehrenbürgerin ihrer Geburtsstadt Mainz. Eine echte Versöhnung mit ihrer Heimat fand aber erst nach ihrem Tod und dem Ende der DDR statt.

Heute wird das Werk und das Leben von Anna Seghers in ihrer rheinhessischen Heimat zu vielen Gelegenheiten gewürdigt.


Autor: Lutz Luckhaupt

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