2012 feierte man in Mainz ein närrisches Jubiläum. Am 20. Februar zog bei meist strahlendem Sonnenschein der 111. Rosenmontagsumzug durch die Stadt. Unter dem Motto „Dem Zeitgeist närrisch auf der Spur – mit Mainzer Fassenachtskultur“ fand der Umzug mit 9.500 Zugteilnehmer:innen und knapp 150 Zugnummern in jenem Jahr statt.
Die Geschichte der Mainzer Straßenfastnacht
Fastnacht als eine Feier unmittelbar vor der Fastenzeit war seit vorchristlicher Zeit üblich und hatte im Christentum dann auch im Kirchenjahr einen festen Platz. Die moderne Fastnacht hatte ihren Ausgang im 19. Jahrhundert und ist eng mit der Emanzipierung des Bürgertums in dieser Zeit verknüpft. In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts trafen sich die Bürger zusammen mit der Administration und Angehörigen des Militärs der Stadt Mainz zu großen Maskenbällen. Die Mittel- und Unterschicht feierte auf den Straßen und in den Wirtshäusern. Einen Verfall der Sitten befürchtend, kam es in den 1820er Jahren zu ersten Einschränkungen der Feierlichkeiten. Genau um diese Zeit fand im wirtschaftlich eng mit Mainz verbundenen Köln 1823 eine Reform der Fastnacht statt. Statt Bällen wählte man dort nun die Abhaltung verschiedener „Sitzungen“ und eines Narrenzuges am Rosenmontag als künftigen Rahmen der Feierlichkeiten.
Durch die wirtschaftliche Verbundenheit und auch die Handelskonkurrenz der beiden Städte Mainz und Köln wurden die Reformbemühungen der Fastnacht auch in der künftigen rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt zur Kenntnis genommen.
Der erste Rosenmontagsumzug fand in Mainz schließlich 1838 statt und stand in engem Zusammenhang mit der Gründung des Mainzer Carneval-Vereins (MCV) im gleichen Jahr. Der MCV ist von Beginn an für die Organisation, Finanzierung und Durchführung des Mainzer Rosenmontagszuges verantwortlich.
Bereits ein Jahr zuvor gab es den sogenannten „Krähwinkler Landsturm“ – den ersten Fastnachtsumzug in Mainz. Der Zug wurde vom Kaufmann Nikolaus Krieger organisiert. Krähwinkel war eine fiktive Kleinstadt aus dem beliebten Stück „Die deutschen Kleinstädter“ von August von Kotzebue. Der Ort stand sinnbildlich für kleinstädtische, spießbürgerliche Beschränktheit und Borniertheit. Neben diesen Eigenschaften parodierte der Umzug auch das Militär mit seinen Uniformen und dem militärischen Drill. Eine 15-köpfige närrische Bürgerwehr als Garde für den „Prinz Carneval“ in Fantasieuniformen sorgte für Aufsehen – und begründete die älteste Mainzer Garde, die Ranzengarde.
Der Krähwinkel Landsturm war ein großer Erfolg in der Bevölkerung und so organisierten engagierte Bürger um den Mainzer Kommunalpolitiker und Kaufmann Johann Kertell im darauffolgenden Jahr den ersten Rosenmontagsumzug und schufen mit dem MCV einen institutionellen Rahmen. Ein großer Teil der Mitglieder des MCV stammte aus der Mittelschicht, die damit in die Organisation der Fastnacht integriert wurde, was die Behörden sehr wohlwollend aufnahmen, da sie so eine „unsittliche“ Straßenfastnacht wie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vermeiden wollten. Man erkannte außerdem das große touristische Potential der Fastnacht.
Spätestens ab 1842 beschäftigte sich die Mainzer Fastnacht immer mehr mit politisch aktuellen Themen, was sie immer mehr ins Visier der Behörden im großherzoglichen Darmstadt brachte. Aufgrund der politischen Verhältnisse während und nach der Deutschen Revolution 1848/49 kam es zu einer vorübergehenden Zwangspause der Mainzer Fastnacht. Von 1847 bis 1855 fanden nur wenige Sitzungen und keine Rosenmontagsumzüge statt. Nachdem es ab 1856 zu einer Neubelebung der Mainzer Fastnacht kam und auch wieder Rosenmontagsumzüge stattfanden, kamen diese von 1864, 1866 bis 1872 und 1874 bis 1983 wieder zum Erliegen. Grund waren der Deutsch-Dänische Krieg und der Preußisch-Österreichische Krieg mit seinen politischen Folgen, aber auch allgemeiner Geldmangel bei den Fastnachtsvereinen. Mit der Gründung neuer Vereine und neuer Garden boomte die Mainzer Fastnacht ab 1884 wieder und auch Umzüge fanden wieder statt. Die Zugwagen wurden in dieser Zeit immer aufwendiger und immer mehr Besucher:innen kamen für die Fastnacht nach Mainz. 1887 fand aufgrund der Reichstagswahl kein Zug statt, 1891 und 1892 ebenfalls nicht. Auch 1894 bis 1896, 1900 bis 1901 sowie 1905 bis 1907 fielen die Züge aus.
Der Erste Weltkrieg und die folgende Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen ließen den Umzug wieder unfreiwillig pausieren. Erst 1927 fand wieder ein Rosenmontagsumzug statt. 1931 und 1932 fielen die Züge aufgrund der wirtschaftlichen Lage aus.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden auch die Fastnachtsvereine gleichgeschaltet. Für die Durchführung der Fastnacht und des Rosenmontagsumzuges war die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ zuständig. Die Themen der Fastnacht wurden nun durch die nationalsozialistische Ideologie bestimmt. Bis 1939 wurde die Mainzer Fastnacht mit den Rosenmontagsumzügen und ihren Motivwagen als Propagandamittel für das menschenverachtende Gedankengut der Nationalsozialisten fortgeführt. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Fastnacht eingestellt.
Nach dem Krieg wurde die Mainzer Fastnacht mit Unterstützung der französischen Militärregierung wieder etabliert. Bereits 1946 kam es zu Wiedergründungsversammlungen Mainzer Fastnachtsvereine. Der erste Rosenmontagsumzug nach dem Zweiten Weltkrieg zog 1950 durch das noch immer zerstörte Mainz. Seitdem fand der Rosenmontagsumzug kontinuierlich jedes Jahr statt. Die einzigen Ausnahmen gab es 1991 (Ausbruch des Zweiten Golfkrieges), 2016 (Sturmwarnung), 2021 und 2022 (jeweils Corona-Pandemie).
Autor: Lutz Luckhaupt
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