Mit der Sprengung der Reste des Kühlturms am 9. August 2019 endete die Geschichte des einzigen rheinland-pfälzischen Kernkraftwerks in Mülheim-Kärlich. Bereits ab seiner Planung war das Kraftwerk höchst umstritten und es entwickelte sich zu einem Investitionsflop und einer Bauruine.

Ende der 1960er Jahre begannen die Planungen für den Bau eines Kernkraftwerkes im Koblenzer Raum. Ziel war die Erzeugung von mehr Energie im eigenen Land – da Rheinland-Pfalz über keine fossilen Brennstoffe zur Energiegewinnung verfügte, plante man mit Atomenergie. Diese Form der Energiegewinnung galt damals in der Politik als günstig und sauber und als ideale Alternative zur Kohleenergie, von der man wegkommen wollte. Außerdem schuf das Kraftwerk 44 neue Arbeitsplätze in der Region. Als Betreiber wurde der Essener Energiekonzern RWE beauftragt, der 1972 den Bauantrag und die Betriebserlaubnis stellte. Obwohl der Standort Mülheim-Kärlich als erdbebengefährdetes Gebiet gekennzeichnet war, wurde 1975 eine erste Teilgenehmigung zum Bau des Kraftwerks erteilt und die Bauarbeiten begannen.

Im März 1986 ging das Kernkraftwerk zunächst in Probebetrieb und nach knapp zwei Jahren in Regelbetrieb. Dieser konnte aber lediglich 100 Tage aufrechterhalten werden, bevor das Kraftwerk wegen gerichtlich festgestellter Mängel im Baugenehmigungsverfahren wieder vom Netz genommen wurde. Damals wusste noch niemand, dass sich an diesem Zustand bis zum Beginn des Rückbaus der Anlage 2004 nichts mehr ändern wird.

Bereits während der Planungen zum Kernkraftwerk regte sich Widerstand in der Bevölkerung. 1973 wurde mit einer Petition mit 5200 Unterschriften gegen den Bau protestiert. Außerdem gründete sich die „Bürgeraktion Atomschutz Mittelrhein“. Mitbegründerin war Helga Vowinckel, die in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach mit Klagen gegen den Bau des Kraftwerks vorgeht. Durch Erdbohrungen wurde bereits in der Planungsphase belegt, dass Teile des Reaktors auf dem genehmigten Bauplan auf einem Vulkan erbaut werden würde. Abweichend zur Baugenehmigung ließ RWE daraufhin einige Gebäude versetzen und beginnt mit dem Bau. Somit hatte das AKW in der tatsächlich gebauten Form keine Baugenehmigung. Diese Tatsache war die Hauptargumentation für die Klage von Frau Vowinckel, die 1977 in erster Instanz auch recht bekam. Gegen dieses Urteil ging RWE in Berufung – die Bauarbeiten am Kraftwerk gingen derweil weiter. In der Zwischenzeit bekam die Anti-Atomkraft-Bewegung nach dem Reaktorunfall in Harrisburg 1979 immer mehr Zulauf. RWE und die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hatten sich gegen immer mehr Klagen von Privatpersonen und Kommunen zu wehren. Die Atomkraftgegner verloren allerdings ein Verfahren nach dem anderen. Trotzdem sollte der Kampf bis zur letzten Instanz weitergehen.

Sechs Jahre später als geplant geht das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich 1986 schließlich in den Probebetrieb. Die Proteste der Gegner ließen aber nicht nach – als sechs Wochen nach Betriebsbeginn die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl bekannt wird, wurden die Zweifel an der Sicherheit der atomaren Energiegewinnung sogar immer lauter, die Demonstrationen immer größer und regelmäßiger. Der Probebetrieb in Mülheim-Kärlich lief zu allem Überfluss auch nicht pannenfrei – immer wieder kam es zu kleinen Pannen und Störfällen, der Betrieb musste immer wieder ausgeschaltet werden.

1988 entzog das Bundesverwaltungsgericht als letzte Instanz schließlich die erste Teilerrichtungsgenehmigung von 1975. Das Kernkraftwerk musste sofort abgeschaltet werden. Damals war noch nicht klar, dass in Mülheim-Kärlich nie wieder Strom produziert werden würde. RWE bemühte sich um eine neue Genehmigung, die im Jahr 1990 auch von der Landesregierung erteilt wurde. Es folgten erneut verschiedene Klagen und ein jahrelanger Rechtsstreit, bis 1995 schließlich das Oberverwaltungsgericht Koblenz auch diese Genehmigung aufhob. 1998 wurde dies vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Nach Auffassung der Gerichte hätte es aufgrund der Erkenntnisse über die Erdbebengefährdung ein vollständig neues Genehmigungsverfahren gebraucht, das allerdings nicht durchgeführt wurde. Aufgrund der SPD-geführten Regierung in Rheinland-Pfalz seit 1991, die sich bereits in der Opposition und im Wahlkampf gegen den Atomenergie-Standort Mülheim-Kärlich ausgesprochen hatten und insbesondere aufgrund der rot-grünen Bundesregierung ab 1998, die den Atomaussteig zu einem zentralen Anliegen machte, war der Kampf um die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich Ende der 1990er schließlich beendet. 2001 wurde es endgültig stillgelegt. Zuvor hatte RWE im Jahr 2000 auf eine milliardenschwere Schadensersatzforderung verzichtet, da dem Konzern gestattet wurde, die Laufzeit des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich auf andere Kraftwerke zu übertragen.

Auch ohne Schadensersatz handelt es sich bei dem Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich bis heute um das teuerste Atomkraftwerk der Welt. Sein Bau und die Instandhaltung kosteten rund 7 Milliarden D-Mark. Dazu kam der 2004 begonnene Rückbau mit Kosten von rund 750 Millionen Euro. Trotz seiner kurzen Betriebszeit mussten 3.000 Tonnen radioaktiver Müll entsorgt werden. 2003 wurden die letzten Brennstäbe abtransportiert. 2019 wurden die letzten Reste der Investitionsruine durch Sprengung beseitigt.


Autor: Lutz Luckhaupt

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